Würfeln statt analytischer Entscheidung – warum Zufallsentscheidungen auch in Organisationen rational durchaus sinnvoll sein können!

ein Zwischenruf von NAVO Senior Berater Oliver Kremers

 

Eine wichtige Entscheidung einer höheren Instanz zu überlassen, mag auf dem ersten Blick hochgradig irrational erscheinen. Ein Gottesurteil wirkt antiquiert. Sind wir es doch gewohnt, erst nach umfassender Analyse und mit Kalkül eine „fundierte“ Entscheidung zu treffen. Doch warum vertrauen z. B. indigene Völker in Nordamerika für den Stamm wichtige Entscheidung einem Karibu-Geweih an, das sie – verbunden mit einem Ritual – ins Feuer werfen? Wenn das Geweih aufgrund der Hitze reißt, dann zeigt der Riss die Richtung an, in die gejagt werden soll. Warum kann es sinnvoll sein, das Überleben des Stammes in die Hände des Zufalls zu geben, anstatt zunächst die vorhandenen Informationen zu sammeln, sie von erfahrenen Jägern bewerten zu lassen und dann nach dem Mehrheitsprinzip über die zukünftige Jagdregion abzustimmen?

Den Zufall entscheiden zu lassen ist sicher nicht für jede Entscheidungssituation geeignet. Aber – Zufallsentscheidungen bringen bei genauerem Hinsehen durchaus einige Vorteile mit sich:

  • Bei Fehlentscheidungen stellt sich die Schuldfrage nicht. Niemand kann für eine vermeintlich falsche Entscheidung zur Rechenschaft gezogen werden. So wird vermieden, dass aus Angst vor Strafe am Ende keine Entscheidung getroffen wird.
  • Bei fehlenden oder unzureichenden Informationen kann eine Entscheidung getroffen werden.
  • Niemand verliert das Gesicht, wenn ein Vorschlag nicht angenommen wird.
  • Entscheidungen können ohne großen Zeitverlust getroffen werden.
  • Man braucht bei Zufallsentscheidungen keine Expertise, um einzelne Alternativen zu bewerten.
  • Entscheidungen werden nicht nachträglich in Frage gestellt.
  • Das Verfahren ist sehr einfach und kostengünstig.
  • Über die Vorgehensweise herrscht schon im Vorfeld Einigkeit.
  • Niemand kann bevorzugt werden. „Vetternwirtschaft“ ist ausgeschlossen.
  • Bestechung, Rhetorik oder andere Formen der Einflussnahme auf die Entscheidung sind zwecklos.
  • Zufallsentscheidungen machen nach außen unberechenbar und verwirren ggf. die Konkurrenz.
  • Patt-Situationen z. B. bei Alternativen, die ähnliche Konsequenzen haben, können aufgelöst werden.
  • Zufallsentscheidungen sind meist spannend und unterhaltsam.
  • Und zu guter Letzt: Wenn der Zufall entscheidet, dann kann leichter Neues entstehen.

Ohne Frage ist die Zufallsentscheidung nicht immer die erste Wahl. Doch gerade wenn Entscheidungen von großer Unsicherheit geprägt und der Zusammenhalt im sozialen Gefüge durch die Entscheidung gefährdet ist, kann es durchaus sinnvoll sein, sich auch mal den höheren Mächten anzuvertrauen.